Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 22.1911

DOI Artikel:
Kunstgewerbliche Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4361#0047

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
KUNSTGEWERBLICHE RUNDSCHAU

40

□ Einige Ausfälle auf die Zeichenmethode Kerschensteiners
(auf Seite 24) und auf Berichte über die Berliner Möbel-
fabrikation der Ältesten der Berliner Kaufmannschaft
(Seite 29) seien noch erwähnt. □
o Im nächsten Jahre findet ein Kongreß in Dresden statt.

AUSSTELLUNGEN
□ Paris. Die Münchner Ausstellung angewandter Konst
im Herbstsalon 1910. Zum ersten Male ist seit vierzig
Jahren wieder einmal einem deutschen Künstlerverein
innerhalb einer offiziellen, französischen Kunstausstellung
in Paris ein eigener, von der Jury des Salons unabhängiger
Raum zugebilligt worden. Diese liebenswürdige Gast-
freiheit, die der Herbstsalon der Münchner Vereinigung
für angewandte Kunst gewährt hat, ist der energischen
Initiative seines Präsidenten Franz Jourdain zu danken, der
in warmer Begeisterung für Münchner Kunst diese schöne
Idee verwirklichte. Jourdains Großzügigkeit erklärt sich
am besten daraus, daß er von vornherein den Müchnern ein
Viertel des Herbstsalons zur freien Verfügung stellte.
Obwohl das Plakat der Ausstellung von Julius
Diez keineswegs dem Pariser Geschmack entspricht, hat
es dennoch seinen Zweck vorzüglich erfüllt, einmal, weil
die originelle Zeichnung und die schöne und kostspielige
Reproduktionstechnik auffielen; ferner weil es bei vielen
Franzosen seiner Komposition in einer Triangelanlage
wegen die Vermutung weckte, daß die Ausstellung ein
von Freimaurern gefördertes Unternehmen sei. Wenn die
klerikale Presse daher sich der Ausstellung gegenüber
kühl und ablehnend verhielt, so ist das zum Teil, so be-
fremdend das in Deutschland klingen mag, den Tendenzen
zuzuschreiben, die man dem Plakatzeichner unterschob.
Maßgebende Kritiker, wie Alexandre, Clement-Janin, Chan-
tavoire, Forthuny, Gabriel Monrey, Sarradin u. a., Künstler
wie Roll, Caziü, Prome, Maillol, Lalique, Carabin, Majorelle
u. a. haben sich über die Ausstellung sehr günstig, voller
Achtung vor der Disziplin, dem Ernst, der gediegenen
Arbeit, der Zusammenstimmung des Einzelnen zum Ganzen
ausgesprochen und haben betont, daß die Ausstellung
eine gute Lektion für die französischen Künstler bedeute. □
□ So schön und erfreulich der ideelle Erfolg der Aus-
stellung auch ist, so ist trotzdem kaum auf bedeutende
materielle Erfolge zu rechnen, da die Weltanschauung und
die Lebensgewohnheiten der Franzosen zu sehr von den
unseren verschieden sind. Die Pariser tadeln an den Münch-
ner Möbeln die Verwendung von schwarzen und violetten
Tönen, mit denen sie unlöslich den Begriff der Trauer
und Halbtrauer verbinden. Silber, das verschiedentlich in der
Ausstellung als Bilder- und Spiegelrahmen verwertet worden
ist, ist ihnen ein zu kalter und harter Ton. Der deutsche
Wohnungsstil erscheint ihnen zu ernst, zu schwer, zu pathe-
tisch; sie vermissen die Grazie, Heiterkeit, Leichtigkeit des
südländischen Temperamentes. »Schön, sehr schön für
die kalten, harten Länder des Nordens«, sagte mir ein
Franzose, »aber könnten Sie sich ein solches Schloß an
der Küste des Mittelländischen Meeres unter dem ewig
blauen, lachenden Himmel denken?« Berndls Wohnzimmer
in braun und blau erregt das Entzücken der Franzosen.
»Herrlich, herrlich«, sagte ein Franzose, »solchen Raum im
Herzen Deutschlands auzutreffen. Ein solches National-
gefühl und Bewußtsein versteht kein Franzose in einen
Raum zu legen. In solchem Zimmer denkt man an Theodor
Storm, an Ludwig Thoma und Gottfried Keller. Deren
Gestalten könnten hierin leben; aber nicht Maupassants
Männer und Frauen.« Wir Deutschen leben, schaffen und
träumen in unseren Zimmern. Der Franzose aber reprä-

sentiert hauptsächlich in seiner Wohnung. Und alles in
ihren Wohnräumen wird auf diesen Zweck hin zuge-
schnitten; auch und besonders die Bequemlichkeit. Möbel,
auf denen man sich räkeln kann, gibt es in keinem fran-
zösischen Zimmer. □
□ Auch aus diesen Äußerungen geht hervor, daß die
Ausstellung als Gesamteindruck imponierend wirkt. Und
das mit Recht. Mag man Einzelheiten beanstanden, so
bleibt doch die Tatsache bestehen, daß diese Pariser Äus-
stellung Münchner angewandter Kunst die gediegenste
und reichste Darbietung dieser Art ist, die jemals in Paris
gezeigt worden ist und die dem deutschen Namen im Aus-
lande zur Ehre gereicht. Man betritt die Ausstellung durch
ein von Bruno Paul entworfenes Portal aus Kiefersfeldener
Marmor, das als Supraporte das Plakat von Julius Diez
schmückt. Ein kleines achteckiges Vestibül von CarIJaeger
mit Bronzen von Fritz Behn und Georg Roemer ist dem
großen ovalen Repräsentationsraum von Theodor Veil vor-
gebaut worden, auf dessen blaßgelber Wand die Möbel in
Sapelli-Mahagoniholz prachtvoll stehen. Das Rosenmuster
auf dem Teppich und den Möbelbezügen gibt dem Raum
einen freundlich-heiteren Charakter; Supraporten und Bilder
von Eichler, Georgi, Kropp, Münzer und Ella Räuber be-
leben den Raum. Zwei große Wandbilder von Fritz Erler
haben einen ernsten und feierlichen Charakter. Echte
deutsche Gemütlichkeit atmet man in dem Speisezimmer
von Adelbert Niemeyer, dessen schlichte Einfachheit auch
bei den Franzosen viel Bewunderung erweckt hat. Otto
Baurs Boudoir hat lachsfarbenen Wandbezug, vor dem die
tiefbraunen Möbel mit stumpfblauen Bezügen sich fein und
zierlich abheben. Karl Bertschs Schlafzimmer in gedämpftem
Birnbaumholz und blaßlila Stoff spiegelt die behagliche
Anmut der deutschen Frau wieder und in Riemerschmids
einfachem, weißem Schlafzimmer in lackiertem Ahornholz
drücken sich die hohen Ansprüche aus, die deutsche Herren
heutzutage an den Komfort stellen. Das kennt man in
Frankreich kaum. Darum wird den Männern Deutschlands
hier jetzt der Vorwurf der Koketterie gemacht. An Berndls
Wohnraum, der schon erwähnt wurde, schließt sich noch
ein kleiner Salon von Wenz sowie der Musiksaal, den die
Vereinigten Werkstätten nach dem Entwurf von Emanuel
Seidl ausgeführt haben. Die Flucht der Räume wird zwei-
mal durch je einen Saal unterbrochen, in dem Münchner
Kleinkunst ausgestellt ist, von den deutschen Werkstätten,
der Debschitz-Schule, den keramischen Werkstätten usw.
Einen der schönsten Erfolge hat Frau von Brauchitsch mit
ihren Stickereien erzielt. Die Franzosen stehen voller Be-
wunderung vor ihrer Kunst. Und ebenso einmütig ist die
Bewunderung für den Saal, in dem Berndl und Wadere
Schülerarbeiten der Königlichen Kunstgewerbeschule und
der Städtischen Kunstgewerbeschule vereinigten. Ein be-
sonderer Saal ist ebenfalls dem Künstlertheater und dem
Münchner Marionettentheater eingeräumt, die beide leb-
haftes Interesse erwecken. □
□ Diese Ausstellung wird nicht wie so viele künstlerische
Darbietungen in Paris vergessen werden. Schon rühren
sich die Pariser Künstlerkreise, um Reformen im Kunst-
unterricht ihres Landes durchzuführen, damit sie den Vor-
sprung wieder einholen, den, wie sie selbst eingestehen,
die Deutschen vor ihnen gewonnen haben. Vielleicht
wird das schönste Resultat dieser Ausstellung sein, daß
die Münchner Künstler ihren französischen Kameraden
geholfen haben, eine energische Reorganisation ihres
eigenen Kunstgewerbes herbeizuführen. Zum mindesten
hat die Münchner Ausstellung schon heute bewirkt, daß
die Gesundung des französischen Kunstgewerbes in Frank-
reich eine aktuelle Frage geworden ist, um deren Lösung
sich die Besten des Landes bemühen. otto Orautoff.

Für die Redaktion des Kunstgewerbeblattes verantwortlich: Fritz Hellwag, Berlin-Zehlendorf
Verlag von E. A. Seemann in Leipzig. — Druck von Ernst Hedrich Nachf., g. m. b. h. in Leipzig
 
Annotationen